Neugliederung
Neugliederung ist ein Begriff aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und regelt den territorialen Zuschnitt der Bundesländer z.B. durch Fusionen oder Grenzkorrekturen von Ländern. Kommunale Neugliederung, also Zusammenschlüsse und Änderungen der Grenzziehung von Gemeinden und Landkreisen, fasst man dagegen häufig unter dem Begriff Gebietsreform zusammen.
Seit Gründung der Bundesrepublik wollen die Stimmen um eine Neugliederung des Bundesgebiets nicht verstummen. Das bislang einzige Beispiel ist die Fusion der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum neuen Bundesland Baden-Württemberg im Jahre 1952 . Eine geplante Fusion von Berlin und Brandenburg zu einem neuen Bundesland Berlin-Brandenburg scheiterte Anfang 1996 wegen des Neins der wahlberechtigten brandenburgischen Bevölkerung; eine erneute Abstimmung ist geplant.
Die fünf neuen Bundesländer erhielten 1990 teilweise veränderte Grenzen im Vergleich zu den Ländern, wie sie in der DDR bis 1952 bestanden. Dies wird auch oft als Neugliederung bezeichnet - jedoch nicht im Sinne der Definition des Grundgesetzes.
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Regelung der Neugliederung im Grundgesetz
Artikel 29 GG ermöglicht eine Neugliederung des Bundesgebiets, "um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können." (Art. 29 Abs. 1). Sie muss durch Bundesgesetz erfolgen und durch einen Volksentscheid in allen betreffenden Ländern bestätigt werden. Es stehen zwar nicht die Bundesländer als solche (siehe Art.79 Abs. 3 ), aber deren Zahl und territorialer Zuschnitt durch den Neugliederungsartikel des Grundgesetzes unter Vorbehalt.
Der Neugliederungsartikel war bis 1955 von den Alliierten suspendiert und wurde mehrfach geändert, so dass aus der ursprünglichen Pflicht zur Neugliederung zuletzt eine Kann-Bestimmung wurde.
Ein beschleunigtes Neugliederungsverfahren sehen die eigens für Baden-Württemberg und später auch für Berlin und Brandenburg eingefügten Grundgesetz-Artikel 118 und 118a vor. Danach kann abweichend von der Regelung nach Artikel 29 (mit obligatorischem Volksbegehren und Volksentscheid) auch eine bloße "Vereinbarung" der jeweiligen Länder getroffen werden, die jedoch von der betroffenen Bevölkerung bestätigt werden muss.
Neugliederung mit dem Ziel weniger Bundesländer
Vorschläge zur Zusammenlegung von Bundesländern werden immer wieder von verschiedenster Seite vorgetragen (im Gespräch ist eine Reduzierung der Zahl der Länder von 16 auf etwa acht oder neun). Der jüngste Vorstoß des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Beck zur Fusion seines Bundeslandes mit dem Saarland vom Januar 2003 stieß dort auf strikte Ablehnung. Auch andere Vorschläge wie zum Beispiel der immer wieder ins Gespräch gebrachte Beitritt des Landes Bremen zum Bundesland Niedersachsen besitzen derzeit eher geringe Aussichten auf Erfolg. In Norddeutschland nimmt die Diskussion in Politik und Medien über einen Nordstaat zu.
Gründe für und gegen eine Neugliederung
Man kann darüber streiten, ob eine Neugliederung des Bundesgebietes (noch) sinnvoll ist oder nicht - unbestreitbar ist, dass dieser Auftrag der Verfassung durch allerlei politische Winkelzüge bisher unerfüllt blieb. Ob sich das im Zeichen knapper Finanzen ändern wird oder ob durch die Aussicht auf die Übernahme hoher Schulden anderer Bundesländer die Neugliedrung sogar noch unwahrscheinlicher wird, ist ungewiss.
Als Gründe für eine Neugliederung werden typischerweise vorgebracht:
- Einsparung von Verwaltungskosten durch Wegfall von Länderparlamenten
- durch weniger Landtagswahlen Einschränkung des Dauerwahlkampfs und somit reformfreudigere Bundespolitik
- Gerechtere Verteilung der Stimmen im Bundesrat
- handlungsfähigeres, größeres Bundesland
- gemeinsame Politik zwischen Stadtstaat und dem umliegenden Bundesland
- für vormals geteilte Ballungsräume: bessere Entwicklung
- Bundesländer als europäische Regionen oder sogar Staaten
Übliche Gründe gegen eine Neugliederung sind:
- Verlust regionaler Identifikation und Machtverlust durch Wegfall eines eigenen Landesparlaments
- Verlust von Sitzen im Bundesrat durch begünstigende Gewichtung kleinerer Länder im Grundgesetz
- mögliche Vernachlässigung des Umlandes bei Fusion mit Stadtstaat, falls sich die Politik auf die Großstadt konzentriert
- Übernahme der Probleme anderer Länder wie Landesschulden oder schwache Wirtschaft
- Dauerwahlkampf kann auch anders bekämpft werden
- Größe des Bundeslands ist kein Argument für Handlungsfähigkeit; Beispiel Luxemburg
Arten und Vorschläge der Neugliederung
In den 1950er Jahren legten der Luther-Ausschuss , Anfang der 1970er Jahre die Ernst-Kommission z.T. sehr weitgehende Vorschläge für eine territoriale Neugliederung des Bundesgebiets vor.
Es gibt unterschiedliche Arten der Neugliederung, die in den verschiednen Vorschlägen meist als Gesamtkonzept kombiniert werden: Fusionen von Ländern (wie 1952 zu Baden-Württemberg), oder Grenzkorrekturen zwischen zwei Ländern (wie z.B. 1955 Landkreis Lindau zurück an Bayern).
Vorgeschlagene Fusionen von Ländern
- Hamburg und Schleswig-Holstein zu einem Nordstaat/Nordelbien
- Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zu einem Nordstaat/Nordelbien
- Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu einem Nordoststaat
- Berlin und Brandenburg zu Berlin-Brandenburg
- Bremen und Niedersachsen zu Niedersachsen
- Saarland und Rheinland-Pfalz zu Rhein-Saar-Pfalz
- Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen zu Mittelrhein-Hessen
- Rheinland-Pfalz und Hessen zu Rheinhessen
- Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu Mitteldeutschland
- Thüringen und Sachsen zu Thüringen-Sachsen
Allen Modellen gemein ist die Reduzierung der Zahl der Bundesländer von derzeit 16 auf neun bis zehn. In der Diskussion um die Neugliederung der Bundesländer geht bislang die ansatzweise auch schon diskutierte Frage der Bildung eines Bundesunmittelbaren Distrikts unter, der zum Beispiel Berlin-Mitte als der Bundesregierung unmittelbar unterstellten Verwaltungsbezirk aus Berlin (mit den dort insbesondere anfallenden Staatsschulden) herauslöst. Dies würde Rest-Berlin und Brandenburg die Vereinigung sicher erleichtern.
Vorgeschlagene Grenzkorrekturen und Territorialen Kompensationen
- Neu-Ulm als Region Donau-Iller zu Baden-Württemberg
- Pfalz und Kreis Bergstraße als Rhein-Neckar-Dreieck zu Baden-Württemberg
- östliche Teile Oberschwabens zu Bayern
- Main-Tauber-Kreis zu Bayern
- Region Aschaffenburg zu Hessen
- Landkreis Altenkirchen als Teil des Siegerlands zu Nordrhein-Westfalen
- Landkreise Stade, Harburg und Lüneburg zu Hamburg oder zum Nordstaat
- Teile von Ostwestfalen-Lippe zu Niedersachsen
- Vorpommern zu Brandenburg
- Regionen Halle und Dessau als Teil des Metropolregion Sachsendreieck zu Sachsen
- Niederlausitz als vereinigte Lausitz zu Sachsen, oder Oberlausitz als vereinigte Lausitz zu Brandenburg
Alternativen zur Neugliederung
Alternativ zu einer Neugliederung werden im öffentlichen Bereich andere Wege gegangen, die durch Staatsverträge in den einzelnen Fällen geregelt werden.
Die Landesrundfunkanstalten der ARD sind das deutlichste Beispiel und prägen auch die regionale Zugehörigkeit über Ländergrenzen hinweg ("Mitteldeutschland", "SWR3-Land"). Beim Beispiel der Bundesbank, der Landesbanken , des DGB und der Bahn ( DB Regio ) sind es ökonomische oder verwaltungstechnische Gründe für eine Zusammenarbeit. Die Karte der Verkehrsverbünde zeigt wie derzeit schon grenzüberschreitend zusammengearbeitet wird. Bei der katholischen und evangelischen Kirche wurden schon einige Fusionen durchgeführt, die die Anzahl der Kirchenprovinzen verringern und die Grenzen von 1815 bzw. die Teilung BRD/DDR überwinden.
Bild:Verkehrsverbünde (Deutschland).png | |||||||
ARD | Bundesbank | Landesbanken | DGB-Bezirke | DB Regio | Verkehrs- verbünde | Kirchenprov. (katholisch) | Kirchenprov. (evangelisch) |
Trotz dieser alternativen Lösungen wird deutlich, welche Fusionen wahrscheinlicher als andere sind (Hamburg und Schleswig-Holstein, sowie Berlin und Brandenburg) und welche Bundesländer eigenständig genug sind (NRW und Bayern).
Neugliederung mit dem Ziel mehr Bundesländer
In einigen Studien zur Neugliederung wird auch der andere Fall, nämlich eher mehr als weniger Bundesländer zu schaffen, durchgespielt. Diese Studien gelten in der Regel als unrealistisch.
Gründe für und gegen eine Neugliederung
Als Beispiel wird oft die stark föderale Schweiz mit ihren flächenmäßig recht kleinen Kantonen angeführt. Die regionale Identifikation wird bei kleineren Einheiten als Hauptgrund genannt.
Es ist außerdem zu beachten, dass unter den deutschen Volksstämmen oft beträchtliche Vorurteile und Aversionen herrschen. Als Beispiel seien hier die Rivalitäten zwischen Rheinländern und Westfalen (die aber trotzdem in Nordrhein-Westfalen zusammenleben), zwischen Pfälzern und Saarländern sowie zwischen Badener und Schwaben angeführt. So wäre zum Beispiel auch den Bayern ein Ministerpräsident aus Franken nur schwer zu vermitteln.
Die Größe mancher Bundesländer spricht andererseits für eine Angliederung bestimmter Regionen an ein anderes Bundesland. Aschaffenburg ist zum Beispiel so stark nach Frankfurt orientiert (Pendler, Kultur und Verkehr), dass die Zugehörigkeit zu München fraglich ist. Der Fußballverein Viktoria Aschaffenburg spielt demzufolge auch nicht in der bayerischen sondern in der hessischen Liga, was dem Verein auch kürzere Fahrtwege beschert.
Der Speckgürtel um die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin führt dazu, dass besser Verdienende in die Vororte ziehen, die Metropolen aber die Kosten für Schulen und andere kulturelle Einrichtungen auch für das Umland mit zu tragen haben.
Ein Kriterium für die Zugehörigkeit einer Region zu einem Zentrum ist die Verbreitung von Regionalzeitungen , die deutlich erkennen lässt, in welche Richtung sich die Bewohner orientieren. Dies ignoriert noch stärker als die oben genannten Verkehrsverbünde die bestehenden Ländergrenzen.
Arten und Vorschläge der Neugliederung
Für diese Neugliederung gibt es zwei verschiedene Ansätze. Der eine beschränkt sich durch Teilung von Ländern auf die Schaffung von Regionen, die - meist in historischen Grenzen - sich an Landmannschaften richtet. Oder geht noch einen Schritt weiter, in dem Ballungsräume als eigene Regionen zu definieren, da hier die landestypische Ausprägung durch starke Zuwanderung und Verstädterung weniger ausgeprägt ist, als in den ländlicheren Regionen.
Weit verbreitet findet man die Bestrebung Franken als eigenes Bundesland von Bayern abzutrennen.
Auch in anderen "Bindestrich-Ländern" wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gibt es Rivalitäten, teils mit dem Lösungsvorschlag eigner Bundesländer.
Der andere Ansatz nimmt direkt die Ballungsräume und schafft um sie herum neue Länder, die nicht unbedingt einen historischen oder landsmännischen Hintergrund haben.
Werner Rutz listet in seinem Beitrag "Wieviel Länder braucht die Republik ?" (Quelle s.u.) folgende Länder auf: Ems-Weser-Land, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Engern (-Lippe), Ostfalen, Brandenburg, Trier-Saarpfalz, Hessen-Nassau, Thüringen, Sachsen, Rheinpfalz-Baden, Niederschwaben (Württemberg), Ostfranken, Zähringen, Oberschwaben, Baiern.
Siehe auch
- Föderalismus
- Föderalismus in Deutschland
- Föderalismuskommission
- Politisches System Deutschlands
- Liste der deutschen Bundesländer, geordnet nach Einwohnerzahl
- Liste der deutschen Bundesländer, geordnet nach Fläche
Weblinks für Deutschland
- "Wieviel Länder braucht die Republik?"
- "Weniger Länder - mehr Föderalismus?"
- "eine zeitgemäße Lösung"
- "Das Land Baden-Württemberg und die möglichen Grenzveränderungen bei einer Neugliederung des Bundesgebiets"
- BVerfGE 1, 14 - Südweststaat
Situation in Österreich
1947 wurde Osttirol verwaltungstechnisch wieder mit Nordtirol vereinigt, blieb jedoch bis zum Staatsvertrag 1955 Teil der britischen Besatzungszone .
In der Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich regelt Erstes Hauptstück, Allgemeine Bestimmungen, Artikel 3, Absatz(2): Eine Änderung des Bundesgebietes, die zugleich Änderung eines Landesgebietes ist, ebenso die Änderung einer Landesgrenze innerhalb des Bundesgebietes kann - abgesehen von Friedensverträgen - nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und jenes Landes erfolgen, dessen Gebiet eine Änderung erfährt.
Wikisource: Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich – Quellentexte |
Situation in der Schweiz
1979 spaltete sich der Kanton Jura vom Kanton Bern ab. 1994 wechselte der Bezirk Laufen – seit Gründung des Kantons Jura eine Exklave – vom Kanton Bern zum Kanton Basel-Landschaft. 1996 wechselte die Gemeinde Vellerat vom Kanton Bern zum Kanton Jura.
In der Schweiz wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass sich Kantone zusammenschliessen könnten. Im Jahr 2000 wurde in den Kantonen Kanton Genf und Kanton Waadt eine Volksinitiative zur Fusion der beiden Kantone gestartet, die jedoch abgelehnt wurde. Auch in der Nordwestschweiz und in der Zentralschweiz gibt es Ideen zur Bildung von grösseren Kantonen. Die Chancen zur Realisierung sind gering.
Art. 53 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft regelt die Gebietsveränderungen und Grenzbereinigungen der Kantone.
Wikisource: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft – Quellentexte |
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